30 November 2006

23.11.2006 Moskau: Anreise

Hallo meine Lieben! Unschwer zu erraten bin ich heil aus Russland zurückgekommen. Da im Moment gerade einiges los ist in Kaunas (leider schulischer Natur) werde ich meinen Erlebnisbericht in vier Teile aufsplitten und beginne heute mit der Anreise nach Moskau.

Pünktlich um 4 Uhr nachmittags fuhren wir in Kaunas per Bus los. Reiseroute: Kaunas – Vilnius – Utena – Daugvapilis – Rēzekne – Moskau. Nach vier Stunden überquerten wir die litauisch-lettische Grenze, Routine-Passkontrolle. Nachdem wir kurz nach der Grenze an einem Gefängnis vorbeifuhren, das vor 300 Jahren wahrscheinlich genau gleich ausgesehen hat, kam die schon die erste Schwierigkeit auf uns zu. Die freundliche (des Englischen mächtige) Bus-Hostess verteilte die obligatorischen Zolldeklarationszettel für Russland mit dem Hinweis, bitte alles korrekt und ordnungsgemäss auszufüllen, in Russisch versteht sich! Natürlich war der Zettel nur auf Russisch und wir hatten natürlich keinen blassen Schimmer, wir konnten weder kyrillisch lesen noch schreiben. Die gute Fee respektive Hostess war dann so freundlich alles für uns auszufüllen…

Zu unserem Glück war der Bus nur etwa zur Hälfte gefüllt, so hatte jede Person zwei Sitze um es sich bequem zu machen. Zu meinem Unglück befanden sich nicht nur Personen an Bord. Ein Hund, genauer gesagt ein Chow-Chow reiste mit Frauchen nach Russland. Ich liebe Hunde ja so sehr weil sie immer so erbärmlich stinken! Unnötig zu sagen das diese Kreatur, eine zusammengequetschte Version eines Steiff-Teddybären, natürlich genau in der Reihe hinter mir liegen muss. Ab und zu gab es jeweils Fünf-Minuten-Stops mit Regen, ein nasses Fell riecht einfach köstlich…
Des Weiteren wurden wir während der ganzen Fahrt Russenpop-Konzerten im Bordfernsehen ausgesetzt, die Musik nervte also schon bevor ich überhaupt in Russland war (egal wer den MP3-Player und die Kopfhörer erfunden hat, ich danke euch!).

Die vier Stunden in Lettland gingen ohne weitere Zwischenfälle vorbei, vielleicht ist noch anzumerken das die lettischen Strassenverhältnisse nicht besser sind als die litauischen Strassen, welche ziemlich schlecht sind (zum Teil). Um Mitternacht, bei der Ausreise aus Lettland wurden dann nochmals unsere Pässe kontrolliert (?), danach ging’s mit Kontrollieren weiter auf der russischen Seite. Alle Passagiere mussten mit dem gesamten Gepäck raus aus dem Bus und zum Zollhäuschen, dann wurden zuerst die Pässe und Visa kontrolliert und danach das Gepäck geröntgt. Im Nachhinein ging das ganze Prozedere doch ziemlich schnell vonstatten und weniger kompliziert als ich mir das vorgestellt hatte. Danach verordnete uns die Hostess Nachtruhe.

Es gibt Leute die fünf Minuten nachdem sie ein Fahrzeug bestiegen haben schon schlafen und solche die aus Prinzip nicht schlafen. Ich gehöre zur zweiten Gattung. Die Vernunft zwang mich jedoch, es zumindest zu versuchen, da wir schliesslich um 10 Uhr morgens in Moskau ankommen werden und danach ein volles Sightseeing-Programm ansteht. Die russischen Strassen machten es mir jedoch nicht leicht. Die ersten vier Stunden waren die Strassen schlechter als in Lettland, welche nicht besser als…

Zum Glück bin ich dann doch noch eingenickt. Beim Aufwachen erblickte ich dann im stockenden Moskauer Morgenverkehr die ersten Ladas und Kamas-Lastwagen, sowie die unvermeidlichen Plattenbauten. Nach 17 Stunden endlich in Moskau!

23 November 2006

23.11.2006 Mосква

Ich freue mich, dass einige an meinem Rätsel herumgeknobelt haben, vielen Dank! Schande über mein Haupt das ich nicht zuerst die Herkunft der Band sauber abgeklärt habe, mea culpa.

Kommen wir nun also zur Auflösung. Der gesuchte Song und damit die gefragte Stadt ist:
Dschinghis Khan – Moskau!

Für alle die, die diese Band nicht kennen und für alle die interessiert an einer Freak-Show sind, bitte den Link anklicken und eine Live-Performance als Videostream geniessen.

Freitag, Samstag und Sonntag verbringe ich meine ach so kostbare Zeit also in Moskau. Die Hin- und Rückfahrt wird vielleicht nicht so prickelnd, 17 Stunden pro Fahrt im Bus… Was nimmt man als Student nicht alles in Kauf, um einen Blick auf die russische Hauptstadt zu werfen. Spass beiseite, der Bus ist konkurrenzlos günstig, knappe 100 Franken hin und zurück. Dafür hat das Visum für Russland ein bisschen mehr gekostet…

Da man für einen Besuch in Russland ein Visum braucht, konnte ich immerhin ein bisschen russische Bürokratie-Luft schnuppern. Wir (das habe ich vergessen zu schreiben, ich reise natürlich nicht alleine, sondern mit meinem zwei slowakischen „Gschpänli“) konnten das Visum problemlos im Reisebüro bestellen, mussten jedoch zusätzlich zum Pass noch ein Passfoto mitnehmen. Ich hatte noch genug Passbilder aus der Schweiz (diese Prontophotomat-Dinger) und nahm eines davon mit. Die Angestellte teilte mir dann freundlich mit, dass dieses Foto für ein Russland-Visum ungeeignet sei. Warum? Der Hintergrund muss weiss sein (meiner war grau) und das Bild darf nicht auf Fotopapier gedruckt sein (warum nennt man dann das ganze PassFOTO?).

Glücklicherweise befand sich zwei Gebäude weiter entfernt vom Reisebüro ein Fotostudio und es blieb uns nichts anderes übrig, als Russland-konforme Passbilder zu schiessen. In Litauen läuft das Prozedere dann folgendermassen ab: Hinsetzen, „Fotografin“ macht Freihand mit einer billigen Digitalkompaktkamera ein Bild, Ausdruck in schlechter Qualität auf „hundsnormalen“ Papier, vermutlich 160 Gramm. Kosten: 5 Franken. Wir witzelten danach, dass dieser Fotoladen nur überlebt weil das Reisebüro alle Studenten dahin schickt…

Das Foto wurde dann akzeptiert und gestern konnte ich die Visa abholen. Nun habe ich in meinem ersten Pass auch mein erstes Visum! Von meinem schönen Konterfei jedoch keine Spur, kein Bild vorhanden. Immerhin weiss ich jetzt wie man meinen Namen mit kyrillischen Zeichen schreibt. Zwecks Studium fremder Zivilisationen habe ich mir eine Übersetzungstabelle kyrillisch/lateinisch ausgedruckt, für den unwahrscheinlichen Fall, dass es mir langweilig wird im Bus (hihi).

Als nächstes wollte ich noch einige litauische Litas in russische Rubel wechseln. Ich hatte mir gedacht, dass dies ein leichtes Unterfangen im Baltikum sei, ich musste jedoch (beinahe) zu Pontius und Pilatus huschen. Ihr hättet den Gesichtsausdruck der Schalterdame in der ersten Bank (Hansabankas) sehen sollen, als ich nach russischen Rubeln fragte. Ich hätte genauso gut mit einer Plastikpistole nach dem Tresorschlüssel fragen können. Gut, das ist jetzt vielleicht ein bisschen übertrieben. Auch die zweite Bank hatte keine Rubel im Angebot. Erlöst wurde ich dann in SEB Vilniaus Bankas, jetzt habe ich wenigstens ein bisschen Startkapital wenn wir in Moskau ankommen.

Ich habe soeben nochmals das Wetter für dieses Wochenende angeschaut. Das Spektrum an Vorhersagen ist sehr breit: BBC meldet Sonne und teilweise bewölkt bei angenehmen 6 Grad, CNN und weather.com prognostizieren Schnee, Regen und Temperaturen um den Gefrierpunkt. Da hilft wohl nur ein Blick in den Himmel vor Ort!

Kreml, Roter Platz, 10 Millionen Einwohner, die grösste Stadt Europas… meine Vorfreude ist riesig!

21.11.2006 Nordlichter

In den letzten Tagen fand in den drei litauischen Städten Vilnius, Kaunas und Klaipėda das Nordic Film Forum Scanorama 2006 statt. Gezeigt wurden ausschliesslich Filme aus Skandinavien. Grund genug für Maud und ich, uns einen Film reinzuziehen. Natürlich kannten wir keinen der angebotenen Filme, wir einigten uns dann auf „On Top“ aus der Kategorie „Nordic Laughter“, gedreht auf Island im Jahr 1982 (!).

Ich hätte nie gedacht, dass seit meiner Geburt sooo viel Zeit vergangen ist. Der Film war auch ohne Handlung komisch, nur schon die Kleider, Frisuren, Autos etc. waren einfach der Hammer. „On Top“ handelt von einer erfolglosen Männer-Musikband, die plötzlich von einer Girlie-Group konkurrenziert wird, beide Bands sabotieren sich gegenseitig während sie durch die trostlose Einöde von Island fahren, um in Gemeindelokalen und Altersheimen aufzuspielen. Die Story an sich hätte besser sein können, immerhin Originalton isländisch. Hätte der Kinoeintritt mehr gekostet, wäre es der Film nicht wert gewesen, gesehen zu werden, bei vier Franken kann man jedoch nicht allzu viel sagen, oder?

17 November 2006

17.11.2006 Kleine Kaunasser Geschichten

Guten Tag! Es hat eine Weile gedauert bis ich wieder einmal Zeit gefunden habe, an meinem Blog herumzuwerkeln, was jedoch nicht heisst das hier in Kaunas nichts passiert ist. Kapitel 1 der kleinen Kaunasser Geschichten:

Am Dienstag vor einer Woche hat es geregnet – ausserhalb und innerhalb unserer Wohnung. Also eigentlich hat es ja nur in meinem „Zimmer“ geregnet, bzw. getropft. Warum wissen wir und der Vermieter bis jetzt noch nicht, muss aber irgendwie mit den kalten Temperaturen zusammenhängen. Jedenfalls hat es seither immer wieder einmal geregnet und mein dreiteiliges Dachfenster hielt dicht. Kein Grund zur Beunruhigung also.

Tags darauf fand ein Fotoshooting für alle Erasmus-Studenten statt. Unsere Köpfe werden in der neuen ISM-Broschüre abgebildet, ich bin wirklich gespannt auf das Resultat. Mit einer Ausnahme haben es sogar alle Studenten zum Termin geschafft, das ist schon eine tolle Leistung! Danach gab es ein Einzel-Shooting von mir. Ich glaube, die haben nur meinen Kopf fotografiert, war trotzdem ein komisches Gefühl, ich bin lieber hinter als vor der Kamera. Grund für diese Einzel-Session ist ein Text, den ich für das International Office verfasst habe, der auch in der neuen Broschüre abgedruckt wird (Hey, ich werde berühmt!).

Als ich wieder einmal mit Murat durch die Stadt lief suchte dieser einen Zahnarzt. Zähne reinigen in Litauen: 1.25 Franken pro Zahn.

Dann ist da noch das Kino-Fieber ausgebrochen. Donnerstag vor einer Woche sahen wir „Boratas“ (kriegte beinahe Lachkrämpfe, auch wenn einige Witze unterstes Niveau sind) und am Freitag sahen wir einen Film, der so grottenschlecht ist das ich mich nicht getraue, den Namen hinzuschreiben. Mein Gewissen bleibt jedoch rein, es war Kate’s Idee, diesen Film zu schauen, nicht meine.

Am Wochenende pflege ich jeweils durch die Stadt zu laufen, bewaffnet mit meiner Kamera. Leider gab’s hier schon lange keinen blauen Himmel mehr, dafür sind die Temperaturen um angenehme 5 Grad in den letzten beiden Wochen. Letzten Samstag fuhr ich dann wieder zum Kauno Marios, dem Stausee in der Nähe der Stadt. Zwei Erkenntnisse: Der See ist immer noch ziemlich dreckig (wen wundert’s) und bewölkter Himmel mit starkem Wind machen ein Naherholungsgebiet auch nicht attraktiver.

Dafür bin ich letzthin zum ersten Mal mit einem so genannten „Microbus“ gefahren. In den Strassen von Kaunas wimmelt es von diesen Mini-Bussen, die wie normale Autobusse eine gewisse Strecke abfahren, jedoch kann man an jedem beliebigen Ort halten oder zusteigen. Sozusagen ein Taxi mit festgelegter Fahrstrecke. Im Microbus ist es ziemlich witzig: Zuerst sitzt man irgendwo ab (wenn man nicht vorher wegen der abrupten Fahrweise der Chauffeuren hinfällt), das Kleingeld für den Fahrpreis wird von hinten nach vorne durchgereicht und das Billett und Restgeld wird dann wieder nach hinten durchgereicht. Wenn man also vorne sitzt ist man eigentlich nur damit beschäftigt, Kleingeld weiterzuleiten.
Andere Studenten erzählten mir, dass die Microbusse wie die Henker herumführen. Leider kann ich das nicht bestätigen, bei der Ausfahrt vom Einkaufszentrum kam uns nur ein Geisterfahrer entgegen, was unseren Fahrer zu einem Ausweichmanöver veranlasste auf das sogar die Instruktoren von Veltheim stolz gewesen wären…

Den „Schnudderi“ habe ich nach meinem Kreuzberg-Ausflug auch noch bekommen, den polnischen Hersteller meiner Taschentücher wird’s freuen.

Ich avanciere langsam zum Shopping-Assistenten, zuerst Schuhe einkaufen mit Murat, letzten Montag Mantel-Kauf mit Cees. Cees besitzt jetzt also einen schönen Mantel (in der Dormitory sagen ihm nun alle nur noch „Mr. President“) und ich hatte das Gefühl, ich müsse doch auch irgendetwas einkaufen. Zum Glück waren im Supermarkt die „Abtröchnixtüechli“ im Sonderangebot, 3 für 2! Jetzt macht Geschirr abtrocknen wieder Spass!

Am Mittwoch dann das Unfassbare: Der gefürchtete Gang zum Friseur! Eigentlich wollte ich ja nur in den Friseur-Salon (den mir Murat und Edita empfohlen haben) um einen Termin zu vereinbaren. Eine Stunde später sass ich dann schon auf dem Folterstuhl. Ich hatte extra meinen Laptop mitgenommen, um mein gewünschtes Frisur-Endprodukt bildlich zu erklären. Die Dame am Empfang sprach nämlich ein bisschen Englisch, meine Friseuse nicht.
Die litauische Friseuse hatte eine gänzlich andere Herangehensweise als meine Friseuse in der Schweiz, für mich Schock und Verwunderung zugleich. Ich will jetzt aber niemanden mit einem detaillierten Bericht langweilen, wie meine Haare kürzer wurden.

Das Endresultat kann sich jedoch sehen lassen. Die ganze Prozedur dauerte jedoch ganze 1,5 Stunden, verglichen mit ca. 25 Minuten in der Schweiz. Ich richtete mich schon auf eine exorbitant hohe Rechnung ein, musste mir dann jedoch das Lachen verkneifen: 35 Litas (17 Franken). Ich sollte nun eigentlich jede Woche zum Friseur gehen…

Gestern feierten Murat, Maud und ich unsere überstandene Abschlussprüfung im Litauisch-Kurs mit ein paar Bier und einem Essen. Ich weiss jetzt immerhin das „Karbonada“ in Litauen ein Schnitzel bedeutet. Danach ging’s wieder einmal in die Ägypter-Bar Ramzis II. Ich darf mich wohl langsam Bauchtanz-Experte schimpfen. Im Ramzis II wird nämlich beinahe jeden Abend kostenlose Bauchtanz-Unterhaltung angeboten. Es wird mit der Zeit jedoch ein bisschen langweilig, weil immer die gleichen Leute zur gleichen Musik tanzen, und Bauchtanz sowieso immer irgendwie gleich aussieht. Höhepunkt ist jedoch ein Typ, dem wir den Namen „Spinning Prince“ gegeben haben. Dieser dreht sich bekleidet in eine Art Pyjama und Regenbogen-Cape 3 Minuten lang ständig um die eigene Achse ohne umzufallen. Respekt.

Soviel zum Leben in Kaunas. Noch einen Monat und dann ist das Austausch-Semester auch schon wieder gelaufen. Wie schnell doch die Zeit vergeht! Beinahe alle verbleibenden Wochenenden sind schon verplant, z.B. findet am 1. Dezember ein Erasmus-Day in Vilnius statt. Dort treffen sich alle Erasmus-Studenten aus Litauen für ein Essen, Konzerte und Parties. Netterweise werden Transportkosten und Hotelübernachtung von der Universität bezahlt.

Ein kleines Rätsel zum Schluss:
Nächstes Wochenende werde ich einen mehrtägigen Ausflug in eine grosse Stadt unternehmen. Die Stadt wird in einem Lied einer beknackten Gruppe besungen, die den Namen einer berühmten, historischen Persönlichkeit trägt. Die Gruppe kommt aus einem Land, das es nicht mehr gibt. [Edit: Ich hätte schwören können, dass diese Gruppe aus einem Land kommt welches nicht mehr exisitert, leider liege ich falsch. Das Land gibt es immer noch. Neuer Hinweis: Das Land ist ein Nachbarland der Schweiz.]
Wohin führt die Reise wohl?

06 November 2006

05.11.2006 Kryžių kalnas

Am Sonntag war „Moning’s heitere Reisegruppe“ wieder einmal auf Achse, dieses Mal mit dem Ziel Šiauliai, eine Stadt im Norden von Litauen. Die internationale Reisegruppe bestand aus Mathieu, Céline und Maud aus Frankreich, Matej und Kate aus der Slovakei plus den Neutralen. Da in Litauen die Fahrpläne der Busse nicht online oder in einer Broschüre publiziert werden, trafen wir uns am Busbahnhof und nahmen den ersten verfügbaren Bus nach Šiauliai (sprich „Scho-li-é“). Zu unserem „Glück“ war es kein Ekspresas-Bus und wir fuhren 3,25 Stunden durch die schneebedeckte litauische Pampa. Eine Menge kleiner Dörfer und verwaister Bus-Haltestellen. Immerhin haben wir einen Hirsch auf freiem Feld gesehen!

Irgendwie funktionierte jedoch die Heizung des Cars nicht richtig, als Konsequenz daraus Innentemperatur = Aussentemperatur. Als wir in Kaunas abfuhren betrug die Aussentemperatur angenehme -7 Grad. Nach zwei Stunden funktionierte die Heizung dann doch noch einigermassen und man konnte sich der Winterjacke entledigen.

Um mein IX. Fort-Debakel nicht zu wiederholen besorgte ich mir alle möglichen Informationen über die Reise im Internet (Moment, das habe ich beim IX. Fort doch auch getan?). Müsste ich meine Abschlussarbeit über Litauen schreiben würde der Titel wahrscheinlich „Die Auswirkungen korrekter, internationaler (und überhaupt) Beschilderung auf die Tourismusbranche und Reputation Litauens“ lauten.

Zuerst jedoch zum eigentlich Ziel unseres Ausfluges. 12 Kilometer ausserhalb von Šiauliai befindet sich der „Berg der Kreuze“ (Kryžių kalnas), eine Art Wallfahrtsort. Der „Berg der Kreuze“ ist eine der touristischen Hauptattraktionen Litauens und jeder Reisende nach Šiauliai will eigentlich nur dort hin. Trotz dieser Tatsachen findet man am Busbahnhof Šiauliai nicht ein einziges Schild oder irgendeinen Hinweis wie man zum „Berg der Kreuze“ kommt! Das ist einfach der Wahnsinn…

Dank meiner Internet-Recherchen wusste ich, dass die Buslinie nach Joniškis daran vorbeiführt. Das heisst wie in Kaunas alle Anzeigetafeln durchgehen bis die Destination Joniškis gefunden ist. Als unser Bus dann eintrudelt die erste richtige Überraschung: Der erste Bus-Chauffeur mit Fremdsprachen-Kenntnissen und dann auch noch Englisch! Nach zehn Kilometern Fahrt stiegen wir im Nirgendwo aus noch zwei Kilometer zu Fuss bis zum „Berg der Kreuze“.

Crosses against the cloudy sky

Die englische Übersetzung „Hill of Crosses“ ist weitaus pragmatischer, denn der „Berg der Kreuze“ entpuppt sich als unscheinbarer Hügel, viel kleiner als ich mir das vorgestellt hatte. Doch der Ort hat es in sich. Der ganze Hügel und mittlerweile auch Teile daneben sind übersäht mit Kreuzen. Wikipedia zählt 55'000 (grosse) Kreuze, ich bin mir jedoch nicht sicher ob man alle Kreuze überhaupt zählen kann, es sind einfach zu viele. Ich denke es ist schwierig, sich das vorzustellen, wenn man es nicht selber gesehen hat. Auf kleinen Pfaden kann man auf den Hügel wandern, umringt von tausenden von Kreuzen. An jedem „grossen“ Kreuz sind sicher 20 kleinere Kreuze und Rosenkränze angehängt. Dann pfeift der Wind über den Hügel und überall klappert’s, man steht mittendrin, ein sonderbares Gefühl.

Rosary

Der „Berg der Kreuze“ ist nicht nur ein religiöser Wallfahrtsort. Für die Litauer ist er auch ein Zeichen der Freiheit und Unabhängigkeit (vor allem weil die Russen und der KGB mehrere Male den Berg zerstört haben). Sogar Papst Johannes Paul II war mal da. Ziemlich eindrucksvoll.

Wir hatten extremes Glück mit dem Wetter, Sonnenschein und blauer Himmel. Nach knapp zwei Stunden bei -5 Grad hatten wir jedoch genug und marschierten zurück zur Strasse respektive Bus-Haltestelle. Nach meinem Fahrplan sollte der Bus um 15.07 Uhr an dieser Haltestelle anhalten. Aber irgendwas musste ja schief gehen. Normalerweise sind die Busse in Litauen pünktlich oder leicht verspätet, dieses Mal fuhr der Bus jedoch 5 Minuten zu früh durch.

Da der nächste Bus erst in zweieinhalb Stunden fahren würde, beschloss unser durchgefrorenes Grüppchen, ein Taxi zu bestellen. Nicht immer so einfach. Die Taxi-Chauffeure und deren Zentralen glänzen auch nicht gerade mit Englisch-Kenntnissen. Ausserdem dürfen in Litauen nur vier Personen gleichzeitig in einem Taxi befördert werden, das heisst für sechs Personen entweder ein grosses Taxi oder zwei Stück bestellen. Maud bot sich als Kommunikationszentrale an, der erste Versuch in litauisch war jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Weitere Versuche in englisch scheiterten grandios („I don’t speak English“ und Telefon aufhängen bei zwei Zentralen). Auf Autostop wollten wir lieber verzichten. Matej und Maud versuchten ihr Glück und liefen zum nächsten Haus, um die Bewohner zu fragen, ob sie uns ein Taxi in litauisch bestellen könnten. Sie hatten Glück und ein litauisches Mädchen sprach ein wenig englisch. Ihr Versuch scheiterte jedoch auch, angeblich weil die Taxi-Zentralen gar kein oder nur ein Auto zur Verfügung hatten!

Am Schluss riefen wir Ginte an (Mantas nahm das Telefon nicht ab) und baten sie, uns doch zwei Taxis zu bestellen. Diesmal hatten wir Glück und Ginte hatte uns innerhalb von wenigen Minuten zwei Taxis organisiert. Ein Mentor oder Buddy ist teilweise wirklich Gold wert! Die ganze Odyssee dauerte eine Stunde.

Wir fuhren ins Zentrum von Šiauliai und flüchteten uns ins erstbeste Café, um uns mit Suppe und Tee wieder aufzuwärmen. Der Rest der Rückreise nach Kaunas war dann zum Glück verhältnismässig problemlos.

Hier noch ein Link eines Artikels über den „Berg der Kreuze“, ein bisschen besser als meine Laien-Prosa (jedoch nur in English!):
Sara Evans: “Devout, defiant. The forest of crosses will never stop growing“ The Independent, 2005

03.11.2006 Halloween’as

Auch Litauen bleibt vom amerikanischen Kulturimport nicht verschont. „Eingelitauert“ heisst das Ganze dann Halloween’as. ISM organisierte – mit Verspätung – am letzten Freitag eine Halloween-Party in einer Bar namens Dviese, Kellergewölbe inklusive. Die Tickets wurden zwei Litas günstiger angeboten, wenn man maskiert kam. Ich schäme mich ja immer für alles und pfiff folglich auf die zwei Litas und ging unmaskiert an die Party, Mathieu erhielt zwei Litas Rabatt, musste sich dafür aber im Supermarkt eine billige Maske für sieben Litas kaufen. Der geneigte Leser soll selber urteilen, was intelligenter ist…

Einige litauische Studenten gaben sich viel Mühe beim Schminken und der Kostümwahl, es kam mir vor wie an der Fasnacht (17. Februar ist Fasnachts-Samstag!). Die Party beinhaltete auch noch ein paar spezielle Programmpunkte: Zukunftsvorhersage mit Karten und eine „Weck-den-Vampir-auf“-Totengräber-Performance. Ich liess mir von Ugnė (die übrigens nächstes Semester an die FHS kommen wird) die Zukunft voraussagen. Um ehrlich zu sein habe ich leider nichts verstanden, weil die Disco-Musik im Raum nebenan einfach zu laut war. Man muss ja nicht immer alles wissen.

Als ich dann am frühen Morgen nach Hause ging lag der erste „richtige“ Schnee auf den Kopfsteinpflastern der Altstadt, ein wirklich schöner Anblick!

02 November 2006

02.11.2006 Kristallbildung

Schreck lass nach! Da sitze ich heute Nachmittag friedlich vor meinem Laptop und surfe in der Welt herum, trinke eine Tasse Kaffee, bis… mich der Schlag trifft! Als ich in die Höhe und durch mein Dachfenster schaue sehe ich die ersten litauischen (Darf man das Wetter verstaatlichen?) Schneeflocken. Und das anfangs November. Zu meiner Beruhigung war das Schneetreiben nach Zwanzig Minuten wieder vorbei und am Nachmittag schien dann sogar noch die Sonne. Zum Glück habe ich meine Bachblüten-Tropfen dabei (*grins*).

And then, water crystallizes...

Die Temperaturen sind hier auch in den Keller gegangen, heute Nachmittag 0 Grad, aktuell am Abend -2 Grad. Mein Schal und meine zugegebenermassen nutzlosen Handschuhe liegen jedoch immer noch im Koffer, ich habe mir gesagt das ich mich abhärten muss, für die schlimmen Kältewellen die noch folgen werden.

Interessant ist, dass die litauischen Studenten im Moment alle über das kalte Wetter jammern, obwohl die ja eigentlich daran gewöhnt sein müssten. Am härtesten trifft es wohl aber Merve und Serap, die zwei Damen aus der Türkei. Die haben in ihrer Heimatstadt aktuell 28 Grad (!) und noch die Temperaturen um die 0 Grad erlebt, geschweige denn Schnee gesehen…

01 November 2006

28.10.2006 KGB

Letzten Samstag entschieden sich Cees, Maud und ich, der Hauptstadt Vilnius wieder einmal einen Besuch abzustatten. Primäres Ziel dieser Visite war das KGB-Museum, das offiziell „The Museum of Genocide Victims“ heisst. Litauen war von 1944 bis 1991 Teil der Sowjetunion, demzufolge war in Litauen auch der sowjetische Geheimdienst KGB (Комитет государственной безопасности) tätig. Das Museum befindet sich im ehemaligen Hauptquartier des KGB in Vilnius und besteht aus einem Gefängnis im Kellergeschoss und zwei Stockwerken mit Ausstellungsräumen.

Photographing room

Der Eintritt kostete für Studenten einen Franken, um fotografieren zu dürfen musste man ein Extra-Ticket für zwei Franken lösen. Und die waren es wert. Das Gefängnis ist seit dessen Aufgabe 1991 beinahe unverändert geblieben. Bisher „kenne“ ich den KGB mehr oder weniger nur von James-Bond-Filmen, wenn man jedoch sieht (und liest) was in diesen Räumen geschehen ist, fröstelt es einem schon ein bisschen. Ich habe einige Bilder gemacht, welche ungefähr in einer Woche auf meinem Flickr-Account erscheinen werden. Mit den Bildern hinke ich immer ein bisschen hinterher, ich bitte an dieser Stelle um Vergebung.

On the ground

Nach einem schönen Spaziergang durchs herbstliche Vilnius und den obligatorischen Sehenswürdigkeiten fuhren wir zurück nach Kaunas.

27.10.2006 Fast Food

Und weiter geht’s mit Essen. Nachdem unsere Home-Party vom Donnerstagabend gut über die Bühne ging geschah am folgenden Freitag das Unfassbare. Zuerst jedoch ein grosses Dankeschön an unsere litauischen Nachbarn, entweder seit ihr alle taub, nie anwesend oder Schlafpillen-abhängig. Wir waren nicht wirklich laut, aber auch nicht immer leise. Ich schweife ab.

An diesem schicksalhaften Freitagmorgen schauen Mathieu und ich den Film Super Size Me über die wachsende Fettleibigkeit der Amerikaner und die Schuld der Fast Food-Industrie. Nach zwei Stunden indirekter McDonald’s-Werbung und knurrenden Mägen brachen wir kurzentschlossen zum einzigen McDonald’s in Kaunas auf. Dieser liegt direkt an eine vielbefahrenen Hauptstrasse und ist kleiner als zum Beispiel der McDonald’s in St. Margrethen!

Nach zwei Monaten habe ich das erste Mal wieder Pommes Frites gegessen. Und einen BigMac. Im Vergleich zu anderen Schnell-Restaurants und Pizzerias ist McDonald’s vergleichsweise teuer hier (5 Franken für ein Menü). Ich behaupte jetzt einmal, dass ein Burger verträglicher ist für die Verdauung als ein Klumpen Cepelinai, so gesehen habe ich meinem Körper etwas Gutes getan.